alle Beiträge

Von Orgelflügeln und Paukengeln

Orgelbauer sorgen sich nicht nur um ihr kostbares Musikinstrument, sondern geben ihm auch eine besondere Schauseite, den Prospekt. In den Kirchen unserer Gemeinde ist der Orgelprospekt nur ein zurückhaltender Rahmen, der allenfalls etwas farbig gefasst ist.
Frühere Zeiten gingen da anders vor. Sie schmückten gern ihren Orgelprospekt mit Ornamentschnitzwerk. Wir kennen sicher alle barocke Prospekte, bei denen die Schleierbretter als Muschel-, Stern- oder Sonnenformen auf den Pfeifen liegen oder sie rahmen. So sieht zum Beispiel die Wagner-Orgel der Berliner Marienkirche aus mit ihrem Prospekt von Johann Georg Glume aus den Jahren 1720/23. Die Werkstatt Glume hat sonst vor allem in Potsdam und dessen Schlössern und Parks die Plastiken geschaffen.
Im 16.und 17. Jahrhundert schloss man dagegen gern die ganze Orgel mit großen Flügeln zu, die man dann zum Spielen öffnen konnte. Wir wissen heute nicht mehr viel über diese Praxis. Der Niederländer Arnolt Schlick meint in seinem Traktat von 1511 „ Spiegel der Orgelmacher“, dass die Flügel notwendig seien, um die Orgel vor Staub und Schmutz von Vögeln, Fledermäusen, Ratten und Mäusen zu schützen. Deshalb wurden die Orgel mit großen aufklappbaren Flügeln ähnlich wie Flügelaltäre ausgestattet. So boten sie zugleich Flächen für Malerei. Als Motive wählte man Engel oder Szenen aus der Bibel. So konnten die Orgelflügel gleich noch zur Erbauung der Gemeinde dienen. Sinnvoll war das freilich nur, wenn man die Bilder sehen konnte. Das war so lange der Fall, da die Orgel sich im Kirchenraum befand. Bei Orgeln auf Emporen kommen Orgelflügel seltener vor. Bilder aus dem 17. Jahrhundert, die Ereignisse in evangelischen Kirchenräumen darstellen, zeigen oft auch kleine Orgeln mit Flügeln, meist an einer Kirchenschiffswand. Später wurde dann oft auf der Westseite der Kirche eine Orgelempore errichtet.
In Basedow (bei Malchin in Mecklenburg) hat sich aber eine Orgel mit Orgelflügeln erhalten. Die ganze Kirche ist eine Stiftung des Gutsherrn Christian Friedrich von Hahn, der um 1680 die ganze Kirche und vor allem deren Westwand aufwändig ausstatten ließ. Die imposante Orgel wurde von Heinrich Herbst aus Hildesheim und Samuel Gercke aus Güstrow gefertigt. Die Themen der Orgelflügel, die die sehr großen Pfeifentürme bedecken, sind außen die Einnahme Jerichos (Josua 6, 1-20) und die Schlacht zwischen Jerobeam und Abia (2. Chronik 13, 12 -20) , also alttestamentliche Erzählungen, bei denen Trompeten eine Rolle spielen. Die Innenseiten der Flügel zeigen aufgeklappt die Auferstehung bzw. die Himmelfahrt Christi.
In der Mark Brandenburg haben sich leider keine Orgeln mit Flügeln erhalten. Wir wissen aber, dass es solche einmal gab, z.B. in der Marienkirche von Bernau. 1572 hatte der Rat von Bernau den Hamburger Orgelbaumeister Hans Scherer mit dem Bau einer Orgel für die Stadtkirche beauftragt. Aus dem Vertrag geht hervor, wie der Prospekt aussehen und wie die Orgelflügel bemalt werden sollten. Außerdem wurden 27 Engelfiguren auf dem Hauptwerk und 5 vergoldete Köpfe auf dem Rückpositiv angebracht. Leider wurde diese Scherer-Orgel 1864 durch eine neue und durch einen neogotischen Prospekt ersetzt. Von den Orgelflügeln ist danach nichts mehr erhalten geblieben, aber vom Figurenschmuck. Diesen kann man heute besichtigen.
In der Epoche des Barock konnte die Neigung zu üppiger Gestaltung ebenfalls zu reichem Figurenschmuck führen. Berühmtes Beispiel dafür ist die 1721 vollendete Orgel der Wallfahrtskirche von Heiligenlinde (Swieta Lipka) in Masuren (Polen). Die am Prospekt bis hoch in die Pfeifentürme angebrachten Engel bewegen sich, wenn die Orgel gespielt wird und sie musizieren dabei auf ihren verschiedenen Instrumenten während sich goldglänzende Stern drehen.
So etwas Ähnliches gibt es auch in unserer Landeskirche. In der Nikolaikirche von Luckau befindet sich die Orgel auf einer prächtigen Emporenanlage im Westen des Kirchenschiffs. Um 1672 hatte sie der Leipziger Orgelbauer Christoph Donat geschaffen und 1978 die Potsdamer Orgelfirma Schuke restauriert. Dabei wurde das Rückpositiv mit seinen beweglichen Posaunenengeln und dem Harfe spielenden David wieder hergestellt. Auch die drei Zimbeln von Sonne, Mond und Stern gehören zum Spielregister.
Etwas bescheidener ist die Ausstattung der Marienkirche von Angermünde. Die große Orgel auf der Westempore hat wie in Berlin Joachim Wagner zwischen 1742 und 1744 geschaffen und den dazu gehörigen Prospekt auch wie in Berlin in der Glume-Werkstatt anfertigen lassen. Dort wurden nicht nur goldene Schleierbretter geschaffen, sondern auch Figuren. Davon sind heute noch auf den äußeren Pfeifentürmen Engel mit Kesselpauken erhalten. Der Organist kann diese Pauken stimmen und in sein Spiel einbeziehen. Heute ist das ein hübscher Anblick, wenn während des Orgelspiels die Engel auf ihre Pauken schlagen.

Dr. Gerlinde Strohmaier-Wiederanders
(em. Professorin für Kirchengeschichte mit dem Spezialgebiet Christliche Kunst an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität, lange Jahre Mitglied des GKR, jetzt noch im Personalausschuss, bei Gottesdiensten oft Lektorin, manchmal auch vertretungsweise Gottesdienst).